Das „System Helios“ – Redebeitrag vom 1. Mai 2024

Vor zehn Jahren – im März 2014 – wurde die Amper Kliniken Aktiengesellschaft von der Helios Kliniken GmbH übernommen. Die Kliniken Dachau und Markt Indersdorf waren bereits nach einer Privatisierung 2005 im Besitz der Rhön Klinikum Aktiengesellschaft. Der Helios Konzern hat 2014 seinen Konkurrenten geschluckt und wurde zum unangefochtenen Marktführer im europäischen Maßstab.

Der Einführung der so genannten Fallpauschalen 2004 und dem mit einhergehenden Konkurrenz- und Kostensparungsdruck folgte eine Welle an Privatisierungen in der Krankenhauslandschaft. Die Klinikkonzerne agieren wie gewöhnliche Unternehmen. Als erste Maßnahme steht immer ein Abbau von Personal an. Durch die Fallpauschalen sollten in kürzerer Zeit mehr Patient*innen behandelt werden. Die Lage spitzte sich über die Jahre derart zu, dass mittlerweile immer weniger Personal eine immer größere Anzahl an Patienten in möglichst kurzer Zeit behandeln soll. Die Unabhängige Betriebsgruppe am Klinikum Dachau versuchte seit 2009 immer wieder gegen diese Zustände vorzugehen. Dabei brachten sie Kolleg*innen zusammen, um geplante Schichtmodelle bzw. Kürzungen zu verhindern, Repressalien gegen Einzelne abzuwehren und die Missstände am Klinikum öffentlich zu machen. Bis vor einem Jahr brachte sie die Betriebszeitung Antigen heraus. Eine frühere Aktive berichtet, warum dies gerade nicht möglich ist, welche Ausmaße das permanente Sparen heute erlangt hat und was damit gemeint ist, wenn vom „System Helios“ die Rede ist.

Liebe Kolleg*innen, ich möchte von unserer innerbetrieblichen Arbeit gegen schlechte und immer unhaltbarere Arbeitsbedingungen berichten. Leider muss man klar sagen, dass es unter den heutigen Voraussetzungen im Klinikum Dachau nicht mehr möglich ohne Strafmaßnahmen der Klinikleitung offen aufzutreten. Wir haben als Zusammenschluss von Beschäftigten über lange Zeit Kolleg*innen motiviert für die eigenen Belange selbst einzutreten und zusammen zu halten. Ohne Anleitung durch Außenstehende oder Organisationen, sondern aus der eigens erfahrenen Notwendigkeit heraus. Dabei waren wir v.a. seit der Übernahme durch den Helios Konzern immer wieder von Einschüchterungen und Maßnahmen gegen unsere Betriebszeitung betroffen. Mit der neuen Führung seit 2020 wurde alles, was mühselig aufgebaut wurde, nach und nach zerstört. Wir können sagen, dass diese Vorgehensweise – sogar für Helios Maßstäbe – eine Spezialität des Dachauer Helios Klinikums darstellt und mit einem gewissen Stolz, dass man eine solch harte Führung hierher geschickt hat, um diesem stetigen unberechenbaren Unruheherd ein Ende zu bereiten.

Wir haben über die Jahre erreicht, dass wir nicht nur offen im Betrieb auftreten konnten, sondern auch ein Faktor wurden. Selbst die verdi kam nicht daran vorbei uns in Streikvorbereitungen zu involvieren, weil sie selbst nicht stark genug war oder es nicht gegen uns durchführen konnte. Doch verdi wäre nicht verdi, wenn sie nicht auf dem Höhepunkt der Möglichkeiten und der Kampfbereitschaft hinter dem Rücken einen dreckigen Deal beschließen würde. So geschehen 2017/18 im größten Arbeitskampf für eine personelle Mindestbesetzung – nach zwei befristeten Streiks und eines vom Konzern erlangten Verbots eines unbefristeten Streiks.

Die Verhältnisse in der Krankenhaus Landschaft in Deutschland sind desaströs. Kleine kommunale Krankenhäuser schreiben immer weiter Defizite. Mittlerweile weit über die Hälfte – Tendenz steigend. Ausnahme sind Klinikkonzerne, allen voran Helios und darin explizit das Dachauer Klinikum. Sie machen satte Profite. Wie diese zustande kommen liegt klar auf der Hand: Neben Personal wird an allem gespart, was man sich nur vorstellen kann. Das geht bis zum Geschirr, Essen, aber auch medizinischen Geräten, die eingezogen werden und in einer internen Gerätebörse weitergereicht werden. Es betrifft technische Vorrichtungen, insbesondere WLAN, was bei der Einführung der elektronischen Patientenakte von Belang ist. Das geht bis zur Bettwäsche: Inkontinezunterlagen für bettlägrige Patient*innen wurden am Klinikum Dachau vor zwei Jahren abgeschafft. Seitdem werden Bettlägrige auf zusammen gelegte Bettdeckenbezügen gebettet. Auch Fortbildungen für die Beschäftigten sind inbegriffen – erst dieses Jahr werden in Dachau nach vier Jahren Pause wieder Fortbildungen für Reanimation angeboten. Einerseits werden Baumaßnahmen zu drei Vierteln aus eigenen Mitteln finanziert, die Qualität ist aber minderwertig. Daraus folgende Reparaturen werden aus Einsparungsgründen nicht mehr vorgenommen.

Helios ist Teil des weltweiten Gesundheitskonzerns Fresenius SE. Die anderen Schwesterkonzerne bedienen Teilbereiche, wie Reha Kliniken, die Zentralsterilisation, Krankenhaus Infrastruktur oder medizinische Geräte, inklusive Verschleißteile wie Infusionsbesteck, Überlaufkanülen und und und, sowie medizinische Produkte wie Infusionen und Antibiotika. Der Konzern ist also in der Lage ein Krankenhaus baulich zu organisieren, ein Klinikum mit Material zu versorgen und eine Klinikkette zu betreiben. Eine Vielzahl an Tochter-Unternehmen der einzelnen Teilkonzerne sichert die nach einer Übernahme vorgenommenen Ausgliederungen (Outsourcing) sämtlicher vorstellbarer Berufsgruppen in einen internen Niedriglohnsektor. Alleine innerhalb von Helios ist man kaum in der Lage die stetig neuen und umorganisierten Tochtergesellschaften zu überblicken. Das garantierte eine jährliche Steigerung des Profits und führte zu Übernahmen ganzer Klinikketten z.B. in Spanien oder Lateinamerika.

Das war lange Zeit eine win-win Situation – bis 2020 die Pandemie kam. Der bislang führende Teilkonzern Fresenius Medićal Care sank ab, da ein erheblicher Anteil seines Klientels an dialysepflichtigen Patient*innen an Covid-19 verstarb. So sachlich wie zynisch stellte es der Konzern selbst dar. Im Jahr 2023 wurde Fresenius organisatorisch neu ausgerichtet. Dem Helios Konzern fällt es nun zu Hauptlieferant an Profiten zu sein. Das bedeutet noch mehr und noch gravierendere Einsparungen.

Die Pandemie traf auch uns in Dachau mit voller Wucht. Wie an allen Kliniken mangelte es an Schutzmaterial wie Schutzkittlen, Handschuhen und v.a. FFP2 Masken. Die Klinik lief bis zum letztmöglichen Zeitpunkt im Normalbetrieb – es wurden keine Bettplätze für Notfälle freigehalten oder nicht notwendige OPs abgesagt. Wir haben als Beschäftigte öffentlich Forderungen aufgestellt und unser Recht auf gesundheitlichen Unversehrtheit klargestellt. Neben den Forderungen wurden seitdem Aktionen in der Stadt und im Betrieb organisiert, sowie die innerbetriebliche Umstrukturierungen aus reinem Profitinteresse in der Betriebszeitung dokumentiert und ablehnend kritisiert.

Die damals neue Klinikleitung hat in dieser Zeit nicht nur die Führungsebene auf ihre Linie gebracht oder ausgetauscht, sie haben nach der Kündigung langjähriger selbstbewusster Kolleg*innen in der Pflege, diese Stellen – wenn überhaupt – mit über Agenturen rekrutierte Kolleg*innen aus Nordafrika, Philippinen, dem Balkan oder Lateinamerika ausgetauscht. Diese Kolleg*innen befinden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis bis sie die Anerkennung des Berufs erhalten, da ihre Aufenthaltsgenehmigung vom Arbeitsvertrag abhängt. Sie werden zur Manövriermasse, welche – mehr noch als das Stammpersonal – die permanenten Engpässe durch Krankheit und Überlastung ausgleichen müssen. Diese Kolleg*innen werden sprichwörtlich ausgebeutet, aber wiederum nicht ausreichend fachlich qualifiziert. Sie werden auf zwei für sie vorgesehene Stationen in einem Nebengebäude eingestellt, wo dem Konzern und der lokalen Klinikleitung absolut loyal ergebene Führungskräfte als Leitung gekrönt wurden und man sie dort quasi zur Unterwürftigkeit erzieht. Unrechtmäßiges Verhalten oder gar Drohungen ihnen gegenüber können schwer nachgewiesen werden, da sich Betroffene nicht trauen darüber zu sprechen und eine sprachliche Barriere dies noch erschwert.

Gleichzeitig wurde beginnend in der Hochphase der Pandemie gezielt gegen uns als selbstorganisierte Struktur vorgegangen. Das beinhaltete Anhörungen, Vorladungen, das Suchen nach Fehlern oder auch nur das Unterbinden des Verbreitens der Betriebszeitung.

Dabei läuft es ökonomisch betrachtet keineswegs schlecht. Weder für den Gesamtkonzern Helios, noch für das Klinikum Dachau vor Ort. Durch genannte Einsparungen und Umstrukturierungen, insbesondere aber durch staatliche für Hilfen – welche für finanziell bedrohte Kliniken gedacht waren – wurde das Dachauer Jahresendergebnis 2020 verdoppelt. Helios ist aber nicht nur Spitze im wirtschaftlichen Rahmen. Diese Gewinne werden auch mit weit weniger Personal als in anderen Kliniken erwirtschaftet.

Seit 2019 gilt bundesweit eine Personal-Untergrenzenverordnung in der Pflege. Diese sieht in den meisten medizinischen Fachbereichen eine Besetzung von 1:10 vor. Der bundesweite Durchschnitt beträgt in Deutschland schon lange 1:13 und liegt weit höher als in sämtlichen europäischen Nachbarländern. Am Klinikum Dachau gibt es faktisch keine reguläre Besetzung. Man hat im Schnitt um die 20 Patient*innen pro Pflegekraft zu versorgen. Da aber die hohe Ausfallquote auch nicht mit den täglichen Versetzungen auf andere Stationen ausgeglichen werden kann, sind Kolleg*innen am Ende des Tages regelmäßig für weit über 20 bis knapp unter 30 Patient*innen verantwortlich. Das seit 2020 etablierte repressive innerbetriebliche Klima – gegen jeden Widerspruch, nicht nur unseren – sowie der despektierliche Umgang in jeglicher Hinsicht, führt zur schrittweisen freiwilligen Kündigung langjähriger Kolleg*innen. Durch diese Entwicklung wurde der Wille des wenigen, noch an Änderung der Verhältnisse interessierten, Teils der Belegschaft Stück für Stück gebrochen. Mehr noch aber durch die Arbeitsbedingungen.

Und die Einsparungen gehen weiter, sie führen gar zu einer Prekarisierung: Seit einem halben Jahr muss das Stationspersonal Fahrten zu und von OPs oder Untersuchungen tätigen und das Essen vorbereiten, verteilen, einsammeln. Die beiden Abteilungen des Fahrdienstes und des Caterings wurden aufgelöst, der Großteil der betroffenen Kolleg*innen gekündigt. Als sich dies abzeichnete, wir dagegen protestierten und Unterstützung für eigene Forderungen aus der Belegschaft sammelten, sollte uns als Zusammenschluss der finale Schlag versetzt werden. Ein als Aushängeschild betrachteter Kollege wurde das gesamte letzte Jahr mit Vorladungen, Drohgebärden und Provokationen versucht mental kaputt zu machen. Zwar konnte eine mutmaßlich geplante Entledigung seiner durch ein öffentliches Dagegenhalten mit einer Klage gestoppt werden, unsere bisherige offene Vorgehensweise im Betrieb stieß durch die Gesamtheit der innerbetrieblichen Entwicklung an eine Grenze.

Dabei sind es Konzerne wie Fresenius-Helios, denen nicht nur klare Grenzen gesetzt werden sollten. Solche Konzerne sollten gar keine Krankenhäuser besitzen! Zum Wohle der Allgemeinheit, der Kolleg*innen und letzten Endes der Patient*innen.

Die faktische systematische Unterdrückung von demokratischer Meinungsbildung im Betrieb kann an dieser Tatsache nichts ändern. Außerdem kennen wir auch andere Zeiten. Zusammenhalt und Solidarität sind notwendiger denn je. Über betriebliche Grenzen hinaus. Darum geht es auch am 1. Mai und darum geht v.a. jeden Tag, an dem wir in der Früh zur Arbeit aufstehen müssen.

Es hilft alles nichts – wir müssen uns selbst helfen – gegen miserable Arbeitsbedingungen, Repressalien und Profitmaximierung auf unserem Rücken und dem der Patient*innen.


Beitrag veröffentlicht

in

,

von

Schlagwörter: